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Kurswechsel: Die neue globale WHO-Strategie zur Traditionellen Medizin 2025-2034


Ein Kommentar von Nora Laubstein

Nun ist sie da, die neue globale Strategie der WHO mit einer neuen Abkürzung: TCIM, d.h. Traditionelle, Komplementäre und, NEU dabei, Integrative Medizin! Auf Initiative von „Freunden der TCIM“ wurde innerhalb von knapp zwei Jahren ein Vorschlagspapier erarbeitet, welches noch von der WHO-Administration im Sinne der heute aktuellen Wort- und Rechtsprechung angeglichen wurde. Der endgültige Entwurf der 10-Jahres-Strategie wurde nach den Stellungnahmen aller einzelnen nationalen Delegierten und der zusätzlichen Anhörung von drei Interessensvertreterinnen angenommen. Und ja…irgendwie ist es gut, dass das Thema „Traditionelle Medizin“ wenigstens hier auf der Agenda steht.
Diese neue Strategie unterscheidet sich sehr von den vorherigen Strategien. Während sich diese vornehmlich der kulturell gewachsenen Vielfalt der Traditionellen Medizin widmeten und die Bezeichnung der Alternativmedizin noch im Namen trug, bezieht die neue Bezeichnung „TCIM“ eine andere Position: Die Traditionelle Medizin soll für die nationalen staatlichen Gesundheitssysteme fit gemacht werden. Dafür benötigt die vormalige CAM (Komplementäre und Alternative Medizin) nun den Stempel der wissenschaftlichen Evidenzbasierung und den Status gesicherter Nicht-Desinformation als TCIM.

Was bedeutet diese Entwicklung? Zunächst lesen sich die neun Grundprinzipien gut und harmlos – in der Realität bedeuten sie viel Arbeit und Geld für Studien, Ausbildungskosten, Dokumentation und Zertifizierung, Digitalisierung und Evaluation. Gedacht ist diese Strategie, wie ihre Vorgängerinnen, als Empfehlung an die nationalen Gesundheitsbehörden und deren Gesundheitssysteme als freiwillige Leistungserweiterung. Der nun möglich gemachte wirtschaftliche Ansatz für Patienten und Gesundheitsberufe zielt auf eine Erweiterung des gesundheitspolitischen Spektrums. In Zusammenhang mit dem One-Health-Ansatz über die Einbringung der Gesundheit in allen Politikbereichen, steht nichts Geringeres als der Wunsch nach einer Veränderung der globalen gesundheitlichen Systeme an. Die TCIM könnte somit als Reparaturmechanismus für die maroden und finanzarmen staatlichen Gesundheitseinrichtungen dienen – muss sich jedoch auch klar darüber sein, dass gerade die hochbürokratisierten und technologischen Herausforderungen erfüllt werden müssen.

Der von Vertretern einer Integrativen Medizin postulierte Ansatz, dass alle evidenz-basierten Verfahren und Gesundheitsberufe miteinander personen-zentriert zusammenwirken sollen, erscheint unter den gegenwärtigen Rahmenbedingungen als sehr anspruchsvoll.

Die extreme Fixierung der neuen TCIM-Strategie auf Evidenzbasierung um Falschmeldungen und Desinformation zu unterbinden und auszugrenzen lässt befürchten, dass der spezielle Charakter individueller Weiterentwicklung, Innovation und Nutzung wirklich aller natürlichen und spirituellen Ressourcen herausfallen könnte. Der nunmehr alles durchziehende Ansatz einer wirtschaftsbetonten wissenschaftlichen Nachhaltigkeitsstrategie und den damit verbundenen umgedeuteten Definitionen wird vermutlich dafür sorgen, dass wenig finanziell attraktive Naturheilverfahren u.a. wegen Zeitaufwand oder fehlender Evidenzbasierung aussortiert werden. Der heute von der Industrie geforderte Bürokratieabbau, dessen Grundlage das 1995 eingeführte Vorsorgeprinzip ist, wäre auch für den Gesundheitsbereich dringend erforderlich.

Am Beispiel der Bundesrepublik Deutschland, deren Vertreterin auch für die neue TCIM-Strategie gestimmt hat, müssen wir uns fragen: Wer soll das bezahlen? Der ehemalige deutsche Gesundheitsminister hat folgendes Erbe seiner Amtszeit hinterlassen: Die gesetzlichen Krankenkassen sind pleite, die Pflegeversicherung ist pleite, die pflichtversicherten Patientinnen zahlen monatlich mehr, erhalten dafür immer weniger, Krankenhäuser und Notfallversorgung ist reduziert, Apotheken verschwinden – doch an der Qualitätssicherung soll auf keinen Fall gespart werden.

Die Vorstellung, dass naturheilkundlich orientierte Ärzte und Akademikerinnen in dieses System hinein möchten, ist für mich schwer zu verstehen. Eventuell soll TCIM ein Hebel zur positiven Veränderung der staatlichen Gesundheitssysteme werden? Ein Slogan der Integrativen-Medizin-Bewegung lautet: „Das Beste aus zwei Welten vereinen“. Nun denn, es sind zwei Welten – und beide Welten sind vielschichtig und umfangreich. Wo bleibt eigentlich die vorbehaltlose positive Bewertung und Würdigung der bisherigen Traditionellen und Komplementären Medizin (T&CM)? Die aktuelle Entwicklung in der Mainstream Medicine, der technisch-akademischen Medizin, geht ja in eine andere Richtung: Hier bestimmen personifizierte Gentherapie, Impfungen und digitale Präventions- und Notfallstrategien die Zukunft. Die gegenwärtige gesundheitspolitische Diskussion in Europa, kräftig gewürzt mit One-Health-Delikatessen, dreht sich ausschließlich um diese Thematiken und wird als Grundlage vorausgesetzt.

Wo ist da Platz für die T&CM? Die heutige Realität bietet bereits im Rahmen einer integrierten Gesundheitsversorgung Möglichkeiten: In separaten Abteilungen oder Nebengebäuden von Medizinischen Versorgungszentren oder Kliniken, in denen entsprechend zertifizierte Therapeuten mit T&CM-Methoden konsens- bzw. weisungsabhängig arbeiten.

Die neue TCIM-Strategie bezieht ausdrücklich die indigene Bevölkerung und deren Gedankenwelten mit ein. Nur wird dieser Begriff wohl eher nach Papua-Neuguinea verortet, denn in den deutschen Schwarzwald. Und hier wird es interessant: Denn letztendlich sind wir alle Indigene, Einheimische, wo auch immer wir auf diesem Planeten leben. Unser Immaterielles Kulturerbe, kombiniert mit Erfahrungsheilkunde, individueller Spiritualität und Innovationsfreude sollte weiterhin unsere Kernkompetenz bleiben

Der nicht-staatliche Bereich, der private oder zweite Markt lässt eine unabhängige Sicht auf die neue globale TCIM-Strategie zu. Wie werden sich die privaten Krankenversicherungen verhalten? Werden einzelne Berufe zur Rosinenpickerei übergehen um sich Heilmethoden aus den Heilsystemen zu reservieren?
Die neue Strategie bietet dazu genügend Ansatzpunkte und könnte dazu führen die T&CM-Gemeinschaft weiterhin zu spalten. Kommt die neue Strategie den Patientinnen zugute? Das wird von den jeweiligen Regierungen abhängen, die entscheiden, ob die TCIM-Strategie umgesetzt wird…und natürlich: Sind deren Finanztöpfe gut genug gefüllt?

Weitere Informationen: https://www.who.int/news/item/02-06-2025-wha78--traditional-medicine-takes-centre-stage